Donnerstag, 10. Mai 2001 um 14.43 Uhr. Über Funkmeldeempfänger werden die Feuerwehren Hohnstorf, Hohenbostel und Bienenbüttel alarmiert. Der Einsatzbefehl lautet: "Schiffskollision auf dem Elbe-Seiten-Kanal (ESK) Höhe Hohnstorf, Schiff beginnt zu sinken."
Rund 30 freiwillige Feuerwehrleute verlassen ihren Arbeitsplatz und eilen zum Einsatzort.

Auf dem ESK, Höhe Hohnstorf liegt die offensichtlich leckgeschlagene "Andrea". Ihr Bug ist deutlich abgesunken, das Wasser droht über die Planken ins Vorschiff zu laufen, das Heck ragt ungewöhnlich hoch aus dem Wasser. Den Feuerwehrleuten ist klar: Alle zur Verfügung stehenden Pumpen müssen eingesetzt werden. Die Hohnstorfer Tragkraftspitze, die Vorbaupumpe des LF Bienenbüttel sowie zwei Tauchpumpen werden installiert.

Mit einer Pumpenleistung von rund 2300 Litern pro Minute versuchen die Feuerwehren das Schiff trotz nachlaufenden Wasser in Waage zu halten. Die Pumpenleistungen schwanken, da eine Distanz von 9 Metern vom Schiff bis zur Böschung überbrückt werden muß. Sämtliches Material wird zunächst mit einer Art Beiboot (Dingi) an Bord der havarierten Andrea gebracht. Die Feuerwehrleute sind erfinderisch. Mit einer Plane versuchen sie die vermuteten Lecks abzudichten. Eisenplatten werden am unteren Teil der Plane befestigt und ins Wasser gelassen. Durch Sogwirkung zieht sich die Plane vor das Leck, die Eisenplatten halten die Plane in Position. Zu diesem Zeitpunkt ist dem Einsatzleiter Klaus Georg Franke und auch dem Schiffsführer nicht klar, welche Größe das Leck hat, geschweige, wo es sich genau befindet.

Bereits um 15.26 Uhr, fordert Einsatzleiter Franke Taucher an. Eine Tauchergruppe innerhalb der Feuerwehren des LK Uelzen gibt es nicht. Aus der Arbeitsgemeinschaft Taucheinsätze (Baracuda Tauchclub, Erster Uelzener Tauchclub, DLRG und Feuerwehr Uelzen) erklären sich sofort Taucher bereit den Einsatzkräften zu helfen. Das benötigte Equipment ist ihr Privateigentum, keiner der Taucher zögert, es für diesen Ernstfall einzusetzen. Unterstützt durch Boote vom LK Uelzen und der FF Uelzen startet das Lecksuchen.

Mittlerweile ist der Kanal voll gesperrt. Zwischen der Schleuse Esterholz und Lüneburg geht nichts mehr. Binnenschiffe suchen sich einen Anleger, können die Havarie nicht passieren, können ihre Frachten nicht termingerecht liefern. Die Feuerwehren stehen unter Druck, das Schiff so schnell wie möglich wieder flott zu bekommen, damit die Wasserstraße frei gegeben werden kann. Presse- und Kamerateams treffen an der Einsatzstelle ein. Gutachter, Wasserschutzpolizei, Vertreter des Wasser- und Schiffahrtsamtes Uelzen sind vor Ort. Weitere Pumpen sind eingesetzt.
Eine große Hilfe ist das Tankschiff "TMS Schwinge". Es hat mittlerweile längsseits festgemacht und unterstützt die Feuerwehren beim Auspumpen. Die bordeigener Lenzpumpe hat eine Leistung von 3000 Litern pro Minute. Zweitweise werden rund 8000 Liter Wasser pro Minute aus dem Bug des Schiffes gepumpt. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Mal ist der Schriftzug "Andrea" lesbar, Minuten später wird er vom brackigen Kanalwasser überspült. Pumpen fallen aus, neue werden eingesetzt.
Es ist später Nachmittag. Rund 70 Feuerwehrleute sind vor Ort. Die Feuerwehren Wichmannsburg, Edendorf, Uelzen, Altenmedingen und Bad Bevensen sind nachalarmiert worden. Der Einsatz wir vermutlich bis zum nächsten Morgen dauern. Das THW wird alarmiert. Sie sollen die Ausleuchtung der Einsatzstelle übernehmen und zusätzliche Pumpen und Material liefern. Vier Taucher sind eingetroffen. Hobbytaucher Gerd Latzko findet auch schnell das erste Leck. Später sagt er :" Der Bug ist eingedellt und durchlöchert wie ein Schweizer Käse." Die Froschmänner versuchen die Lecks mit Hebekissen, Holzkeilen, Säcken, Moosgummi, Gully-Eier, eben mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln abzudichten. Durch die einsetzende Dunkelheit wird die Arbeit erschwert.
Allein mit dem Abdichten ist es nicht getan. Matthias Küßner vom Wasser-Schiffahrtsamt Uelzen weiß, dass eine Mehrzweckfähre mit Bagger an Bord in Wittingen liegt. Sie könnte das Schiff leichtern und so ein Sinken verhindert. Ein leerer Frachter ist ebenfalls in der Nähe. Die "MS Ingberd" wird die Ladung aufnehmen. Bis das Leichtern beginnen kann, werden noch rund sechs Stunden vergehen, solange benötigt die Mehrzweckfähre von Wittingen nach Hohnstorf. Für die Feuerwehren bedeutet dies weiterhin: Einsatz aller Pumpen, Lecks abdichten und das Schiff möglichst über Wasser halten, so daß kein Wasser über die Bordwand in die Laderäume strömen kann.

An der Einsatzstelle wird rekonstruiert, wie es zu diesem Unfall kommen konnte. "Es kann ein Fahrfehler der "Andrea" gewesen sein, aber auch ein technischer Defekt an der Ruderanlage", so Matthias Küßner. "Beide Schiffsführer sind Profis und verstehen ihr Geschäft, Leichtsinn schließe ich deswegen aus", meint Küßner weiter.
"Wenn allerdings ein moderner Schubverband mit 2700 t auf ein älteres Binnenschiff mit nur 800 t trifft, ist eigentlich klar, wer den Kürzeren zieht".
Die Einsatzleitung hält mit den Fachleuten immer wieder Lagebesprechungen ab. Es wird genau geplant wie das nächtliche Verlade-Manöver ablaufen soll. Problematisch ist: Die Andrea liegt schräg im Wasser. Ein Abrutschen wird durch das längsseits liegende Tankschiff "TMS Schwinge" verhindert. Aber der Tanker muß seinen Platz räumen, damit die Fähre mit dem Bagger festmachen kann. Ein kritischer Moment, die "Andrea" kann abrutschen. Der Havarist muß also befestigt werden. Diese Aufgabe übernimmt das THW mit Seilzügen und die Freiwillige Feuerwehr Bienenbüttel mit dem Rüstwagen. Parallel dazu läuft die Logistik auf Hochtouren. Die Mannschaften müssen verpflegt werden, Ablösungen besprochen sein und immer wieder werden Presseteams bedient. Das Interesse ist groß, dieser Unfall ist einer der schwersten in der 25jährigen Geschichte des ESK.

Chronologie
13.30 Uhr Kollision in Höhe Altenmedingen
14.15 Uhr "Andrea" meldet Wassereinbruch
14.43 Uhr Alarmierung der Rettungskräfte durch FEL
15.26 Uhr Taucher werden angefordert
16.30 Uhr "Andrea" sinkt deutlich ab
18.30 Uhr Taucher melden 4 Löcher
19.00 Uhr Schiff liegt stabil, Hoffnung auf Rettung des Schiffes
22.15 Uhr MzF Verden und MS Ingbert treffen ein
22.30 Uhr MzF Verden beginnt mit dem Umladen
00.10 Uhr Der Bug ist bereits 50 cm angestiegen
02.45 Uhr Leckage liegt über Wasser, T-förmiger Riss erkennbar
03.30 Uhr Löschvorgang wird eingestellt, Einsatzende für die Feuerwehren
05.10 Uhr "Andrea" trifft im Hafen Lüneburg ein
06.00 Uhr THW verläßt das Schiff

Es ist 22.30 Uhr, die Mehrzweckfähre (MzF Verden) und die MS Ingbert treffen ein. Sie sind zuvor in das Wechselmanöver eingewiesen worden.
Die Pumpen laufen unter Hochdruck. Plötzlich bemerken die Feuerwehrleute dieselähnlichen Geruch. Offensichtlich wird durch eine Pumpe, die in der Vorpiek ( Bug) hängt durch Lösungsmittel, Farben und Diesel verunreinigtes Wasser gefördert. Sofort läßt die Einsatzleitung Ölsprerren zum Havaristen legen. Die Wasserschutzpolizei nimmt mehrere Wasserproben und verständigt die untere Wasserbehörde. Taucher entfernen in der Vorpiek die aufschwimmenden Dosen und Kanister. Die Pumpe wird tiefer gehängt um sauberes Wasser zu fördern.
Das Szenario beeindruckt selbst die Einsatzkräfte. Zwei Schiffe schieben sich langsam neben den Havaristen - absolute Maßarbeit. Die Pumpen laufen weiter, die "Andrea" bewegt sich nicht - ein Glück. Die Schiffsführer sind eben Profis. In wenigen Minuten liegen die drei Schiffe nebeneinander, nutzen die gesamte Breite des Kanals, machen fest. Inzwischen haben Feuerwehrleute die Laderäume geöffnet. Der Bagger beginnt in einem rasanten Tempo sofort mit dem Ausladen.

Bereits um kurz nach Mitternacht ist der Bug des Schiffes rund 50 cm angestiegen. Auch die untere Wasserbehörde gab Entwarnung. " Die Verunreinigungen seien im unbedenklichen Rahmen" , so ein Sprecher. Nun geht es schnell. Der obere Bereich der Vorpiek ist komplett gelenzt.
Einsatzleiter Klaus-Georg Franke und das gesamte Team atmen auf - ein Ende scheint in Sicht. Gegen 2 Uhr morgens schwimmt der Havarist soweit auf, dass die Leckage über der Wasserlinie liegt. Es zeigt sich ein T-förmiger Riss auf der Backbordseite des Bugs. Taucher und Feuerwehrleute verstopfen die Öffnungen mit Jutesäcken, Holzkeilen und Lappen. Die feineren Lücken werden mit Bauschaum ausgeschäumt. Danach spannen sie erneut ein Lecksegel über die Schadenstelle. Geschafft! Die Einsatzkräfte sind sichtlich froh. Jede Feuerwehr hat seinen Teil zur Rettung der "Andrea beigetragen. Die ersten Feuerwehrleute rücken ab. Rund 30 Einsatzkräfte bleiben vor Ort. Durch das THW werden vorsorglich drei Stromaggregate und drei Tauchpumpen für die Fahrt auf dem Bug des Havaristen installiert. Während der Fahrt soll eine 5köpfige Mannschaft des THW zur Betreuung der Pumpen an Bord bleiben.
Um halb vier wird das Entladen des Schiffes eingestellt. Die Feuerwehren beginnen ihr Gerät aubzubauen.
Die leckgeschlagene und abenteuerlich verbundene "Andrea" nimmt im Konvoi die Fahrt auf. Sie wird begleitet von der Wasserschutzpolizei, der MS Ingbert, der Mehrzweckfähre und des Motorbootes Ilmenau vom Wasser-und Schiffahrtsamt UE. Als die Liegestelle Wulfsdorf in Sicht kommt, meldet der Schiffsführer: "Kein Wassereintritt." Der Verband fährt weiter in Richtung Lüneburg mit Ziel Hafen.
Zurück bleibt eine fast aufgeräumt Einsatzstelle, übernächtigte aber zufriedene Feuerwehrleute, Helfer vom THW und Mitarbeiter des Wasser- und Schiffahrtamtes Uelzen. Noch in dieser Nacht ist man sich einig: " Der Einsatz ist sehr gut gelaufen, besonders die Feuerwehren aber auch alle anderen Helfer haben sehr überlegt und umsichtig gehandelt. Sie haben mit ihren zur Verfügung stehenden Mitteln das Beste aus dieser Situation gemacht," so Matthias Küßner vom Wasser und Schiffahrtsamt Uelzen.
Einsatzleiter Klaus-Georg Franke lobte die gute Zusammenarbeit zwischen Behörden und Einsatzkräften. Weiter spricht er an dieser Stelle allen Feuerwehrkameraden Lob und Anerkennung für diesen Einsatz aus.

 

Nach oben